Blickpunkt - Berufsfeld Physiotherapie
Wie sehen die Tätigkeitsbereiche von PhysiotherapeutInnen aus? Was lernt man alles im Studium? Welche Beschwerden können physiotherapeutisch unterstützt werden?
Hier ein paar Einblicke.
Physiotherapie – eine facettenreiche Welt
Ehrlich gesagt wusste ich vor meiner Ausbildung nicht, in welchem breiten Feld man als Physiotherapeutin tätig sein könnte. Was mir bewusst war, dass man nach Verletzungen – nach Knochenbrüchen oder bei Schmerzen zur Physiotherapie gehen kann. Doch dass die Tätigkeitsbereiche weitaus größer sind, dass es im Grunde für jedes Lebensalter und für so ziemlich jede gesundheitliche Beschwerde therapeutische Anwendungen gibt, das wurde mir erst mit der Ausbildung klar.
Was lernt man alles im Studium?
Natürlich - man lernt die gesamte Anatomie – innerhalb des ersten Semesters. Alle Knochen, Muskeln, Organe und das Nervensystem. Man lernt wie all das zusammenhängt und zusammenarbeitet – die Physiologie und Biomechanik dahinter. Man lernt die Krankheiten und körperlichen Beschwerden, die in unseren Breitengraden auftreten und was ihre Ursachen sind, wie Gelenke aufgebaut sind und wie man Bewegungen und Mobilisation einsetzen kann, um diese zu behandeln. Man macht Erfahrungen, um sein eigenes Körpergefühl zu schulen, um Bewegung wiederum besser vermitteln zu können – man lernt Wahrnehmungen zu verfeinern, um besser beurteilen zu können. Man lernt Bewegung zu beobachten, zu analysieren und zu ökonomisieren falls erforderlich.
Unser Köperinneres funktioniert sehr chemisch – Bewegungen laufen nach physikalischen Gesichtspunkten ab. Wie sieht der Gangzyklus aus? – Welche Muskeln kommen wann, wie zum Einsatz? Und was hat das alles mit Biomechanik zu tun?
Das klingt alles sehr sachlich. Doch es sind auch pädagogische Elemente in der Ausbildung enthalten: „Unterstütze so viel wie nötig und so wenig wie möglich.“
Wo steht der Mensch mit seinen Beschwerden? Wo muss man ihn/sie abholen? Welche Bewegungserfahrung hat er/sie und wie bringe ich den Menschen dorthin, wo er/sie hinwill? Wie kann ich Übungen leichter oder schwieriger machen? Welche Funktionen benötigt der Mensch, um seinen (Berufs-) Alltag wieder ausführen zu können?
Und man lernt zu verstehen, dass der Mensch und sein Wohlbefinden auch von Faktoren wie Beruf oder Familie geprägt wird. Welche Lebensgewohnheiten hat der Mensch und wie beeinflussen sie sein/ihr körperliches Wohlbefinden? Gibt es Menschen/Situationen/Angewohnheiten, die den Heilungsprozess des Menschen positiv oder negativ beeinflussen? Welche Einstellung/Haltung hat der Mensch im Bezug zu seinem Problem bzw. generell zu seinem Körper?
Das Grundstudium ermöglicht einem einen Blick in die verschiedensten Fachbereiche – und da gibt es wirklich viele:
Fachbereiche und Spezialisierung
So, wie es mittlerweile Fachärzte für jedes Organ bzw. jedes Organsystem in unserem Körper gibt, gibt es auch Physiotherapeuten für so ca. jedes Organsystem.
Wir hatten im Studium eine Dozentin – Physiotherapeutin, die sich therapeutisch auf den Bereich der Proktologie spezialisiert hat. Schon mal überlegt was ein Proktologe macht? Das ist ein Facharzt für das letzte Stück unseres Darms - den Enddarm – die letzten 15 cm des Verdauungstraktes. Sie behandelt und berät physiotherapeutisch also hauptsächlich Menschen, die genau dort ihre Beschwerden haben.
Hätte mich jemand vor dem Studium gefragt, hätte ich nicht gewusst, dass es dazu physiotherapeutische Behandlung gibt.
Therapeuten arbeiten also auf Gebieten von mehr oder weniger spezifische Körperregionen. Manche spezialisieren sich auf Laufanalysen, anderer auf Pädiatrie/Kinder, wieder anderer arbeiten hauptsächlich mit onkologischen Patienten. Man kann mit Babys arbeiten, mit Schwangeren Frauen oder geriatrischen/bettlägerigen Menschen. Man kann Sportlern betreuen oder mit Querschnittsgelähmten Rollstuhlhandling trainieren. Physiotherapeuten können mit Menschen nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt arbeiten oder sie lernen dir Atemtechniken anzuwenden bei z.B. Atembeschwerden oder Lungenerkrankungen. Es gibt auch Möglichkeiten Probleme im Verdauungstrakt oder Hormonsystem physiotherapeutisch zu behandeln.
Wie gesagt, die Spannbreite ist riesig - riesiger als das, was ich hier angeführt habe. Manche Therapeuten spezialisieren sich auf Wirbelsäulenbeschwerden, anderer auf Knieverletzungen, Migräne oder Rheumatismus. Dann gibt es noch Einrichtungen für psychische Gesundheit, wo Physiotherapeuten sehr oft mit Suchtkranken Menschen arbeiten. Und ja, alle diese Bereiche sind ein Teil des Studiums – verfeinert werden sie natürlich dann beim Arbeiten im jeweiligen Bereich.
Warum gibt es so viele Bereiche, in denen man physiotherapeutisch unterstützen kann?
Physiotherapie bedeutet „Körper Therapie“ – wir arbeiten also mit dem und am Körper und vor allem arbeiten wir mit Bewegung, um die natürlichen Körperfunktionen wieder herzustellen.
Bewegung ist ein wundervolles Tool, um seinen Körper gesund zu halten. Dabei geht es nicht darum, zum Leistungssportler zu werden. Es geht darum, Bewegung - und zwar richtige Bewegung - in seinen Alltag integrieren zu können – so wie es eben für einen stimmig ist. Manchmal geht es aber nicht nur darum, Bewegung selbst zu machen, sondern Bewegung innerhalb des Körpers wieder zu ermöglichen – eben durch z.B. Mobilisation nach einer Ruhigstellung. Und manchmal geht es darum, Bewegung in seinen Lebensstil zu bringen – damit meine ich, auch mal etwas an seinen Lebensgewohnheiten zu verändern, wenn diese die Ursache der Beschwerden sind.
Physiotherapie kann sehr vieles in sehr unterschiedlichen Bereichen. Wenn du also spezielle Beschwerden hast, bei denen du nicht gedacht hättest das man hier auch physiotherapeutisch arbeiten kann – frage gerne deine Therapeutin/deinen Therapeuten. Womöglich gibt es doch Möglichkeiten – nur wie überall: nicht jeder kann Alles und für Vieles gibt es Spezialisten.
Physiotherapie hat das Ziel, die Funktionen des Körpers wieder herzustellen oder zu verbessern, damit Lebensqualität gesteigert wird und Bewegung wieder leichter möglich ist - denn "Bewegung ist die Seele aller Dinge."
Herzlichst,
eure Edith